Montag, 26. Mai 2014

Mit und ohne Zutun

Wir unterhalten uns über eine gemeinsame Bekannte, die jetzt nach Amerika geht. Ameeeerika, jawohl und ihren Doktor hat sie auch in der Tasche. Ich kenne sie nicht gut, freue mich aber sehr für sie. Mir wird erzählt, dass sie ein "summa" erhalten hat und es an diesem Fachbereich seit Jahren keine so gute Bewertung mehr gab. Mein männlicher Bekannter nimmt einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und schließt "naja, sie sieht schon auch sehr gut aus und ihr Doktorvater war ihr auch sehr zugetan. Also nicht, dass sie mit ihm ins Bett gegangen wäre, aber eben schon..." Unter #yesallwomen wird gerade beschrieben, was vielleicht nicht alle Männer tun, was aber alle Frauen befürchten müssen.

Weil es nicht in 140 Zeichen passt, aber brilliante Leistungen von Frauen erst einmal nicht mit ihrer Brillianz erklärt werden. Weil es nicht ihr Zutun zur Wissenschaft sondern das Zugetansein des Doktorvaters ist. Und weil ich mich nicht zu ihrer Verteidigung aufschwang, sondern das Thema wechselte.

Freitag, 23. Mai 2014

Woher wohin

"Sie war sich ihrer Herkunft stets bewusst" stand in einem Roman und bezog sich auf eine ältere Dame aus den amerikanischen Südstaaten. Sofort hatte ich einen Eindruck des Verhaltens und assoziierte die Menschen aus dem hiesigen Süden, die ihre Herkunft wohl nur dann verstecken, wenn sie nicht hier sind und auch dann nicht immer und überhaupt ist Herkunft ein wichtiges Thema denn eine erste Frage ist ja wohl immer: wo kommst Du denn her?

Und das kann ich nicht beantworten. Manchmal sage ich: von der Arbeit. Oder ich antworte: ich bin viel rumgekommen. Die Fragen aber, sie häufen sich. Als hätte ich die erste Frage nicht verstanden oder verheimlichte meine sehr ominöse Herkunft. Tatsache ist: ich habe keine. Ich bin migriert, nach meiner Geburt, nach Deutschland, Land der güldenen Hoffnungen meiner Mutter.

Ich spreche die Sprache meiner Mutter nicht, die meines Vaters wohl aber beide, Mutter wie Vater, haben nichts mit mir zu tun. Ich bin in der ersten Generation eingewandert, aber man kann nicht sagen 'dafür spreche ich aber gut deutsch', denn ich kann ja nur deutsch. Ich bin sechsmal umgezogen als Kind und als Erwachsene noch dreimal. Also zählt auch die regionale Herkunft nichts. Spreche ich mit Ausweis (und Geburtsort) auf einem Amt vor, dann sprechen die Amtlichen sehr lang-sam und deut-lich. Ich versuche, so wenig wie möglich in Amtsstuben zu sein. Und sonst fällt es nie auf. Ich könnte aus Ostwestfahlen sein oder aus Niederbayern.

Mohamed Amjahid geht es da anders. Auf dem Amt sagte man ihm, er sei ein Flop, weil kein Ingenieur, sondern Journalist und ohne 64.000 Euro im Jahr. Das ist ein Skandal. Skandalös ist, dass er nicht aus Deutschland kommt und ich auch nicht und das Einzige, was uns unterscheidet, ein kleines bisschen Geschichte ist, individuelle Entscheidungen von Eltern, Zufälle. Gleichzeitig kommt es mir vermessen vor, uns zu vergleichen. Denn wir sind genauso wenig vergleichbar, wie ein Bayer und ein Ostwestfahle oder sogar zwei Ostwestfahlen, von denen vielleicht alle Flops sind oder keiner. Diese Amtskategorisierung macht mich wütend und hilflos und ich kann nur schreiben, dass ich gar nicht da herkommen will, wo man Menschen so behandelt. 

Dienstag, 20. Mai 2014

Aufhören

In meinem Haus ist eine Fahrradwerkstatt. Herr Fahrradwerkstatt schraubt herum, hat einen riesigen Hund und eine kleine Tochter, die er teilweise allein erzieht. Wenn er mich grüßt, berührt er seine Stirn. Auch wenn ich nicht weiß, was das bedeutet, winke ich zurück. Weil Handwerker das Schloss meines Fahrrades zerstört haben und mein Rad(l) schutzlos herumstand, ging ich zu ihm, um ein neues Schloss zu kaufen.

Der Tag war ein Arsch: Ich habe kein Ziel erreicht, Menschen haben mich geärgert, enttäuscht, mir wehgetan. Und dann auch noch mein armes Fahrrad. Und das arme Schloss. Als ich schimpfend ein Schloss aussuche, sagt Herr Fahrradwerkstatt nur einen Satz:
"Du musst jetzt damit aufhören. Es ist passiert."

Ich schließe den Mund. Er hat Öl an den Händen, riecht nach Schweiß und seine Augen leuchten aus einem Gesicht voller Haare. Gern würde ich ihr umarmen, zahle aber nur und gehe mein Fahrrad retten. Ich bin plötzlich froh, dass es nicht geklaut wurde und mir fällt auf, was für ein Glück ich habe.

Sonntag, 11. Mai 2014

Digitales Lieben mit und ohne Körper

'her' habe ich mir im Kino angesehen. Und davon abgesehen, dass wirklich alles ganz wunderbar komponiert ist, dass die Brüche von Sehnsüchten, Analogem, Digitalem und Realem ineinanderfließen und damit soviel Subtext erzeugen, bleibe ich doch an der Geschichte hängen, dass sich da zwei verlieben, die sich essentialistisch voneinander unterscheiden. Bleibe hängen an der Frage, wie das ist, wenn Gedanken, Gefühle, Gespräche Materialität ersetzen.Eine körperlose Liebe.

Lieblose Körper wären das, wenn sie sich nur verknoten, um ganz schnell Höhepunkte zu erreichen, denke ich. Aber das ist es ja auch nicht. Denn dem Körper des anderen Gefühle zu entlocken, Wohlgefühl zu bereiten ist doch auch Liebe oder nicht. Und wo hört es auf oder wo fängt es an, wenn es nur das Verknoten ist, ganz ohne Gipfelziele?

Diese und ganz viele andere Spielarten von Lieben gehen mir durch den Kopf und ich hänge immer wieder daran, dass ich doch die Berührung brauche, ob mit Liebe oder ohne. Dass es das Gefühl von Haut und Wärme neben mir ist, das ich nicht digital ersetzen kann. Ich rolle mich zusammen und wickele die Decke ganz um mich, wie eine Mumie und stelle mich tot bis morgen früh.


Sonntag, 4. Mai 2014

Mein analoges Leben

Beim Aufräumen finde ich Super-8-Filme, die ich in den 90er Jahren als Teil einer Retrowelle gedreht habe. Die Menschen auf den Bildern essen Eis, reiten Elefanten, lachen unbeholfen, duschen und trinken Bier. Fast willkürliche Ausschnitte dieses Lebens, auf ein paar Sekunden bin ich auch zu sehen, sorglos, auch wenn ich das nicht war, nie war. Sehr hübsch finde ich mich da und weiß, wie ich mich damals gehasst habe.
Analoges Leben sagt man heute, wenn man das IPhone ausschaltet, digitales Detox, wenn auch das Internet weg ist. Bilder können heute ganz schnell gemacht werden, schnell angeschaut und schnell gelöscht. Die Kontrolle über das eigene Bild ist größer geworden und kleiner: was einmal auf facebook ist, wird für immer da sein. Die Menschen auf den Filmstreifen sind auch immer da, ohne Projektor, wenn man ganz genau hinguckt, waren sie die ganze Zeit im Schrank. Wenn der Film durchbrennt, sind sie weg.
Das analoge Leben scheint als Desiderat, als Ideal: ganz unbehelligt von digitalen Nuisancen würde man endlich zur Ruhe kommen. Aber was bringt mir das?

Ich lebe dann analog und habe immernoch nicht diese schönen unbeholfenen, verschwommenen und abgehackten Schnipsel aus diesem Leben, aus dem analogen Leben auf Super 8. Wenn ich ein analoges Leben will, dann genau das.