Dienstag, 16. September 2014

Frau sein

"I couldn't imagine travelling without him" sagt die junge Wienerin zur Nachbarin aus Singapur über ihren Freund und Begleiter, der gegenüber schläft. Die S-Bahn fährt vom Flughafen ab und unter Bewunderungsbezeugungen werden Reiseerfahrungen und künftige Ziele ausgetauscht. "I wouldn't travel to South America alone, that's too dangerous." Sie pausiert. "As a woman" fügt sie hinzu und zeigt auf sich. Ich finde, sie sieht ziemlich tapfer aus und außerdem scheint sie deutlich stärker zu sein als ihr schlummernder Reise- und offenbar Lebenspartner. Die Gesprächspartnerinnen nicken eifrig.

Ich versuche zu schlafen und höre meine Sitznachbarin sprechen. "...Jura oder so zu studieren. All diese Prüfungen und das dauert so lange. Ich weiß nicht. Vielleicht will man ja auch Kinder. So als Frau." Ich öffne die Augen und wage einen verstohlenen Blick neben mich. Sie ist etwa Mitte 30 und ich finde den Gedanken toll, dass sie noch ein Studium anfangen will.

Ihr Gegenüber antwortet "Ja, also da musst Du Deine Tochter doch auch mitentscheiden lassen, oder?" "Aber ich weiß nicht, ob ich das erlauben soll, zu studieren. Ich meine, sie ist ja so jung und vielleicht will sie ja auch heiraten." Ich verfolge das Gepräch weiter. Die Tochter ist 13, höre ich. Eine zweite Tochter jünger. "Aber ich zwing sie jetzt zum Verteidigungskurs, sie soll ja Selbstbewusstsein lernen. Sonst lass ich sie nicht allein S-Bahn fahren" fährt die Mutter fort und steigt unter stetigem Wiederholen von Stereotypen in einem Ort aus, der mit -ing endet.

Als Frau steige ich in der Innenstadt aus, schleppe meine Tasche allein in die nächste Bar und bestelle ein Herrengedeck.

Montag, 8. September 2014

Antifeminismus: Gewalt als Alltag

In meiner, zugegeben selektiven, Filterblase findet sich feministischer Inhalt in zahlreicher und vor allem digitaler Form. Ich lese Gepostetes, Gezwitschertes, Verlinktes. In letzter Zeit fanden sich in diesem Rauschen immer wieder ähnliche Begriffe, Wortlaute und Stürme, die sich gegen Gewalt gegen Frauen wenden. es ging um verbale Gewalt, um Hassmails, um Bedrohungen, um Androhung von Vergewaltigung. All das, weil Frauen Meinungen geäußert haben (auch nicht immer sachlich, aber nie bedrohlich). Vergewaltigung oder sexualisierte Gewalt war das Thema, das täglich mehr als einmal meinen Bildschirm bevölkerte. Rape Culture, Date Rape und Gegenmaßnahmen waren präsent.

Sie waren so präsent, dass es mich genervt hat.

Es hat mich so sehr genervt, dass ich hin und wieder dachte: Herrjeh, es gibt doch noch andere Themen.

Gibt es vielleicht.

Für diejenigen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind oder waren, gibt es das ganz oft nicht. Die Betroffenen sind sehr oft Frauen, um nicht zu sagen, fast immer.

Ich hatte als Frau durch die Omnipräsenz des Rape-Themas deshalb auch das Gefühl, permanent bedroht zu sein. Die Thematisierung hat mich nicht solidarisiert sondern von denen entfernt, die sich bedroht fühlen, die bedroht werden, die viktimisiert wurden. Genau das wollen die erreichen, die feministische Kritik ersticken wollen, in dem sie den Frauen androhen, sie zu vergewaltigen oder sonstige gewaltlastigen Anspielungen machen. Sie wollen die Frauen entsolidarisieren und zum Schweigen bringen. Genau deshalb muss das Thema präsent bleiben, Gegenwehr gegen sexualisierte Gewalt funktioniert nur dann, wenn sie öffentlich gemacht wird.

Antifeministische Parolen haben viel Platz in einem Netz, in dem jeder (fast) alles schreiben darf. Sie zeigen die Zerbrechlichkeit der hierarchischen Zweigeschlechtlichkeit und die Bedrohung, die davon ausgeht, die Geschlechterverhältnisse zu hinterfragen. Das Patriarchat verteidigt sich und es entsteht der Eindruck, es gäbe ganze Kommandos von Personen, die tagtäglich aggressiv jeden Text kommentieren, der im entferntesten mit Feminismus zu tun haben könnte (der übrigens an allem Schuld ist - schön wär's). Vielleicht gibt es diese Kommandos. Es gibt aber eine breite Basis von denen, die sich den Mund nicht verbieten lassen, das Schreiben, Zwitschern, Posten und Texten auch nicht. Und solange es dabei nur um Gewalt geht, wird diese Basis die Gewalt thematisieren. Ob es mich nervt oder nicht.