Mittwoch, 3. Juni 2015

Die Kinder der Deutschen

Eine neue Zahl steht in der Zeitung: Deutschland bildet mit seiner Geburtenzahl pro 1000 Einwohner das Schlusslicht. Das Schlusslicht der Welt. Die Deutschen bekommen nämlich nur 8,28 Kinder und sogar die Japaner kriegen mehr, nämlich 8,36. Man stellt sich automatisch 8 Kinder vor und dann nochmal 0,28. Also ungefähr ein Viertel Kind. Ein Viertel Kind würde anatomisch heißen, dass man vielleicht nur einen Arm gebähren muss. Gruselig. In Zeiteinheiten hätte man dann nur an 1,75 Tagen pro Woche ein Kind. Würde prima zu einer 30-Stunden-Stelle passen. Auch gruselig.

Die Presse griff das Thema dankbar auf, passt es doch so schön in gerade florierende Debatten über homosexuelle Paare, die nämlich keine Kinder kriegen KÖNNEN - deshalb auch nicht heiraten dürfen SOLLEN. Und auch sonst, Frauenquote, Paygap, Vereinbarkeit - alles, wirklich alles lässt sich mit der Geburtenrate verbinden, erklären, moralisch festtackern. Es wird also gefragt: warum kriegen die Deutschen so wenig Kinder? Ja. Die Deutschen (genaugenommen die Frauen, und noch genauer sind die ja nicht alle deutsch, weil da ja noch viel mehr Menschen leben und noch viel genauer ja nur die gebährfähigen). Warum nochmal? Achja, weil sie Hedonisten sind. Hedonistinnen, deutsche Hedonistinnen, deutsche gebährfähige Hedonistinnen, die sich lieber in der Agentur selbst verwirklichen und Latte trinken und abends auch noch Gin Tonic. Oder Schlimmeres.

Ich schweife ab und will einen Drink. Ach nein. Aber jedenfalls lieber einen Kaffee. Und denke dabei an die, die alle nicht in Agenturen arbeiten sondern im Supermarkt oder an der Flughafensicherheit.

Warum kriegen die Deutschen so wenig Kinder?* Hinter dieser Frage lauert der kollektive generationale Suizid, die Deutschen, ach, sie wollen einfach nicht mehr. Sie wollen nicht mehr adressiert werden und das Kinderkriegen fast schon als Pflicht des gesellschaftlichen Erhalts sehen. Ist das wirklich hedonistisch? Man könnte es auch als ganz sinnvolle Abwehrhaltung verstehen, die die Entscheidung für eine Familie zu einem höchst privaten Entschluss werden lässt, bei dem frau und man (oder man und man oder wer auch immer) sich hoffentlich als allerallerletztes oder besser nie überlegen, dass sie Deutsche sind.

Vor diesem Hintergrund, der Kinderzahlen als Wirtschaftsfaktor ansieht, mit dem man sich im internationalen Vergleich brüsten kann oder als Schlusslicht gilt, würde ich mir fast wünschen, dass noch weniger Kinder geboren werden, ach was, verzichten wir doch auf die 0,28, wer will schon nur ein Viertel Kind? ... Aber nein: Kinder sollen doch geboren werden oder eben auch nicht, wenn es nicht passt, nicht geht oder nicht gewollt ist. Mehr Gelassenheit würde ich mir wünschen und mehr Kümmern um die Kinder, die jetzt da sind. 

*Rahmenbedingungen, Kinderbetreuung, Gleichberechtigung und dass das alles kompliziert ist sei an dieser Stelle geschenkt, das wissen wir ja und das mag ich jetzt nicht wiedergeben.