Donnerstag, 8. Oktober 2015

Mein Essen ist sauberer als #eatclean

Als Leserin diverser Inhalte in sozialen Medien und Nutzerin von Sport-Apps (denken Sie jetzt, was Sie wollen) komme ich nicht umhin, den Begriff #eatclean stets aufs Neue zu lesen.

Eatclean bedeutet, so wollen es die Schreiber*innen, dass keine industriell produzierten Zusatzstoffe im Essen sind. Der Begriff wird allerdings meist von Schreiber*innen verwendet, deren Körpergewicht nah an oder unterhalb der Grenze zu Untergewicht verläuft, deren 'cleanes Eating' auch verbunden ist mit 'very very weniger Eating', aber #eatnothing klingt ja so unschön. Worum geht es also, wenn so genanntes sauberes Essen gegessen wird? Wenn nicht gerade Schädlinge im Essen herumkrabbeln oder die Pommes vorher auf der Straße lagen sind die allermeisten Essen sauber*. Essen wird unter Schutzatmosphäre verpackt und selbst der Salat ist nach kurzem Schleudern proper.

Wäre Essen sichtbar dreckig, würden wir es meistens nicht essen, zumindest nicht in Industriegesellschaften. Der ganze "Dreck" im Essen, wie ihn mein Vater nannte (früher Verfechter der demeter-Ernährung) soll also etwas sein, das künstlich hinzugefügt wurde, wie etwa Erdbeeraroma, Konservierungs- und Farbstoffe. Den sauberen Esser*innen von heute reicht der Verzicht auf Zusatzstoffe allerdings nicht aus: es muss nicht sauber sein, sondern klinisch rein. Die ganz ganz blitzsauberen Cleaneater verarbeiten ihr Gemüse nicht mehr, allenfalls wird es roh in einen Smoothie geschreddert (ich hoffe allerdings, sie waschen es vorher).

Alle anderen, diejenigen, die Kekse essen, Baguette (Weißmehl-Alarm), die Cola trinken, Rotwein, Joghurt mit Geschmack, Apfelmus, Dosenravioli (überhaupt Pasta!!!); Pudding, Eiscreme essen dreckiges Essen. Mit dem Selbstpostulat #eatclean ist die Abwertung (auch moralisch) aller anderen Esser*innen verbunden, die nämlich vermutlich #eatdirty genannt werden müssen, was sie in eine Reihe stellt mit Dreijährigen, die den Sand aus dem Sandkasten essen (die Dreijährigen werden allerdings davon abgehalten, die erwachsenen Dirteater nicht). Wo wir bei Dreijährigen sind (ich möchte hier ganz und gar jugendfrei argumentieren): wer sich an Matschepampe im Sandkasten erinnert, weiß auch noch, wie viel Spaß Dreck machen kann. Genuss kann dreckig sein, Dreck ist nichts Schlimmes.

Dass mit dem sauberen Essen auch all diejenigen als dreckige Esser*innen definiert werden, die sich das saubere Essen zeitlich und finanziell nicht leisten können, zeigt, dass nicht nur ein moralischer, sondern auch ein Schichteffekt mit der Sauberkeit verbunden ist. Das Verlogene daran ist, dass mit der Sauberkeit der vermutlich eigentliche Wunsch nach Schlankheit jenseits der latenten Anorektikergrenze gemeint ist, setzt dem sauberen Essen den dritten Fleck auf die weiße Weste. Ich nage daher versonnen an meinem unheimlich dreckigen Schokoriegel und hashtagge fortan #eatdirty.

*wobei an dieser Stelle ein deutlicher Appell an die Bäckereien geht: Bitte deckt doch Eure Streuselschnecken ab, wenn der Laden voller Wespen ist. Wespen setzen sich auf alles, auch auf Dreck.