Freitag, 12. Dezember 2014

Content matters - vom Inhalt zur Form und bitte zurück

Es ist Adventszeit und ich bin eigentlich in der Stimmung nur noch Plätzchen zu essen und mich einzumummeln. Aber selbst beim Mummeln und Knabbern begegnet mir im Sozialen Netz (sozial sei hier lediglich als Interaktionsform, nicht als Wertung verstanden) die Äußerung einer Autorin der Zeit, der Feminismus sei humorlos. Im gleichen Atemzug werden die Witze der Missy als geschmacklos bezeichnet und einen Absatz später wieder Anne Wiezorek als ebenfalls humorlos und noch dazu feministisch ungebildet dargestellt. Insgesamt wird "den Netzfeministinnen" empfohlen, sich mal wieder mit der Theorie auseinanderzusetzen.

Mich nervt die ein oder andere Form des "Netzfeminismus" auch, mich nerven Artikel, die dem einen oder dem anderen unentwegt Humorlosigkeit vorwerfen (oder den falschen Humor), sogar ich selbst nerve mich hin und wieder. Das kommt vor. Ich finde manche sexistische Witze witzig und trotzdem sexistisch und manche sexistische Witze sexistisch und nervig. Ich finde es aber besonders nervig, anhand von Katzenmemes und dem Cartoon auf der letzten Seite der Missy "dem Feminismus" schlechten Humor vorzuwerfen. Und außerdem geht es doch darum nicht. Es geht weder darum, sich an alten weißen (oder wie auch immer aussehenden) Männern aufzuhängen noch an Frauen, die im "sozialen" Netz gute oder schlechte Hashtags entwickeln.

Die Idee von diesem ganzen Feminismus ist, dass Vielfalt möglich wird, vor allem für diejenigen, die bei den herrschenden Geschlechterverhältnissen schlechter wegkommen. Zu dieser Vielfalt gehören Menstruationscomics, die politische Vertretung von Frauen, von Männern, von denen, die sich nicht kategorisieren wollen und vor allem wird allen mehr Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und dadurch mehr Handlungsfreiheit ermöglicht. Diese Handlungsfreiheit ist diskriminierungsfrei, d.h. im Idealfall wird niemand angegriffen, weil er oder sie (oder wer auch immer) kein geschlechterkonformes Verhalten an den Tag legt. Stärke und Schwäche werden nicht mehr verurteilt sondern anerkannt. Ich glaub, da ist ziemlich viel Raum für Humor, zumindest fallen mir jede Menge Witze ein. Aber ich mag auch Katzen. Und Plätzchen.


Freitag, 28. November 2014

blurred lines II: vom Schrecken der Ebene

Dieser Beitrag ist nicht lustig. Eine Kollegin schickte mir einen Link zu einem ziemlich guten Kommentar in der Zeit, wo der Autor Robin Detje die fast harmlos-süffisanten Kommentare der "alten Männer" in den nahen Zusammenhang mit antifeministischer Hetze bringt. Ein Zusammenhang, der mir bislang noch nicht so deutlich vor Augen war: Die zunächst harmlosen Hinweise der (in der Tat männlichen) vergleichsweise erfolgreichen Autoren gegen junge feministische (meist weibliche) Autorinnen bereiten den Boden für diejenigen, denen der ganze "Gender-Quatsch" schon lange ein Dorn im Auge ist. Detje weist auf einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von Antonia Baum hin, die die Debatte um die genderneutrale Ansprache von Professx Lann Hornsscheidt in den sozialen Medien aufarbeitet und kommentiert. Neugierig habe auch ich die Kommentare (bei facebook) durchgelesen und Angst bekommen.

Ich habe die antifeministischen Aggressionen, präziser: die Aggressionen gegen Befunde und Veränderungsbemühungen der Geschlechterforschung (Gender-Studies) bislang für kleine Ausreißer nach unten gehalten. Ich dachte, ein paar Menschen, die es einfach noch nicht verstanden haben, verkämpfen sich in patriarchalen Rückzugsgefechten und disqualifzieren sich damit selbst. Liest man die Kommentare auf der facebook-Seite von Ulf Poschardt, Journalist für "Die Welt" stellt sich heraus: es ist eine breite Ebene von Männern und Frauen, die bei einer Andeutung, es gäbe vielleicht mehr als ein binäres (und übrigens patriarchales) Geschlechterverhältnis, bei jedem Verschwimmen der Grenzen zwischen den Männern und den Frauen, in außergewöhnlich aggressiver Weise reagieren. Ich vermute, dass die "Freunde" von Ulf Poschardt nicht alle reaktionäre, uninformierte Hater sind. Ich vermute, sie sind Menschen, mit denen ich vielleicht auch befreundet (im facebook-Sinne) sein könnte. Das erschreckt mich. Und ich danke Frau Baum, dass sie das alles durchgelesen hat. Ich habe nach Kommentar 50 aufgehört.

Montag, 24. November 2014

Freiheit für Helene Fischer oder: blurred lines

Aus hier nicht näher zu erläuternden Gründen musste ich über Helene Fischer nachdenken und bin damit nicht allein. Neben ihrem offenbar sehr umfassenden Erfolg, der sich aus musikalischen Erzeugnissen, Werbeeinnahmen und allerlei sonstigem speist, ist sie nicht selten Objekt von Spott und Häme, unter anderem von den Herren Böhmermann und Schulz in ihrer sonntäglichen Radiosendung "sanft und sorgfältig". Als ich also über Helene Fischer nachdachte, die übrigens einen Migrationshintergrund hat, wollte ich diese junge Frau verteidigen, denn sie ist ja eine Frau und daher, fand ich, ist das ja auch irgendwie fast sexistisch, wenn Böhmermann und sein Kollege sich lustig machen. Bevor ich aber mit einem großen Banner "Freiheit für Helene Fischer" vor das Gebäude von Radio 1 ging, dachte ich mir: schwierig. Die Frau Fischer macht mit den bürgerlichsten Stereotypen ihr Geld und Olli Schulz kennt sie vermutlich gar nicht. Es ist also nicht nötig, für sie Partei zu ergreifen, zumal es genug andere gibt, die es tun. Helene Fischer ist weiß, jung, weiblich, reich und hat kein Problem, für das ich politisch einstehen müsste. Und ich wollte auch gar nicht auf sie hinaus sondern zurück zum Feminismus oder der Bekämpfung desselben durch antifeministische Bewegungen (wenn es denn Bewegungen sind oder doch einfach nur mangelnde Einsicht).

In der FAZ, namentlich Organ der bürgerlich-konservativen Verbreitung von Inhalten oder vielleicht von Allgemeinerungen, denn das steht auch im Namen, wird mit unermüdlicher Konstanz antifeministischer Text verbreitet. Allein das wäre nicht der Erwähnung wert, denn was will ich sonst erwarten von den alten FAZ-Herren, dachte ich, bis dieser Text unter einigen meiner facebook-"Freunden" Zustimmung fand (zur Frage des Umgangs mit doofen Links von offenbar doofen Freunden ein anderes Mal). Eine Friederike Haupt schrieb über Sexismus mit einer eher wirren Argumentation (ähnlich wie hier, wo ich von Helene Fischer zu Sexismus komme) und schließt mit der Einsicht: "So einfach ist die Welt eben nicht gestrickt (Pardon), dass alles Schlechte, was Frauen passiert, an ihrem Frausein liegt."

Äh ja. Das hat eigentlich niemand behauptet, zumindest keine Feministin, die ich kenne. Wenn überhaupt etwas auf Sexismus zurückgeführt wird, dann liegt das nicht am Frausein sondern am Geschlechterverhältnis. Aber auch das müsste eigentlich klar sein. Auch Frau Haupt, die ist nämlich gar nicht blöd, sondern jung und weiblich und Akademikerin (nehme ich an) und ich habe den Text mehrfach gelesen, weil ich dachte, vielleicht sagt die Frau ja doch irgendwas Sinnvolles. Es gibt ein Buch von Ariel Levy von 2005, das sich "female chauvinist pigs" nennt. In diesem unterhaltsamen, verärgernden, interessanten und blitzgescheit aufgearbeiteten Buch beschreibt die Autorin, wie Frauen (insbesondere in den Medien) antifeministische Kulturen unterstützen und sogar befördern, weil es ihre Möglichkeit ist, den eigenen Erfolg zu sichern. Levy schreibt auch, wie sich diese Bilder auf Alltagspraxen junger Frauen auswirken. Ich möchte Frau Haupt nicht als Chauvinistin bezeichnen, dazu kenne ich zu wenig Texte und bin nicht willens, mich in diese Materie zu vertiefen. Aber ich möchte festhalten, dass Antifeminismus oder die seit einiger Zeit aufkochende Debatte um "Genderism" nicht von Männern gemacht wird (weil, liebe Frau Haupt, genausowenig alles Schlechte von Männern kommt). Die Vervielfältigung von Geschlechterverhältnissen bringt schwimmende Linien zum Vorschein, sie führt dazu, dass nicht alle Frauen Feministinnen sind, aber ein paar Männer Feministen. Und dass ich naiv einen wirren Text mehrfach lese, weil er von einer Frau geschrieben wurde. Und dass ich künftig auf der Hut bin, wenn Texte in der Faz in die Kategorie Sexismus einsortiert werden.

Dienstag, 16. September 2014

Frau sein

"I couldn't imagine travelling without him" sagt die junge Wienerin zur Nachbarin aus Singapur über ihren Freund und Begleiter, der gegenüber schläft. Die S-Bahn fährt vom Flughafen ab und unter Bewunderungsbezeugungen werden Reiseerfahrungen und künftige Ziele ausgetauscht. "I wouldn't travel to South America alone, that's too dangerous." Sie pausiert. "As a woman" fügt sie hinzu und zeigt auf sich. Ich finde, sie sieht ziemlich tapfer aus und außerdem scheint sie deutlich stärker zu sein als ihr schlummernder Reise- und offenbar Lebenspartner. Die Gesprächspartnerinnen nicken eifrig.

Ich versuche zu schlafen und höre meine Sitznachbarin sprechen. "...Jura oder so zu studieren. All diese Prüfungen und das dauert so lange. Ich weiß nicht. Vielleicht will man ja auch Kinder. So als Frau." Ich öffne die Augen und wage einen verstohlenen Blick neben mich. Sie ist etwa Mitte 30 und ich finde den Gedanken toll, dass sie noch ein Studium anfangen will.

Ihr Gegenüber antwortet "Ja, also da musst Du Deine Tochter doch auch mitentscheiden lassen, oder?" "Aber ich weiß nicht, ob ich das erlauben soll, zu studieren. Ich meine, sie ist ja so jung und vielleicht will sie ja auch heiraten." Ich verfolge das Gepräch weiter. Die Tochter ist 13, höre ich. Eine zweite Tochter jünger. "Aber ich zwing sie jetzt zum Verteidigungskurs, sie soll ja Selbstbewusstsein lernen. Sonst lass ich sie nicht allein S-Bahn fahren" fährt die Mutter fort und steigt unter stetigem Wiederholen von Stereotypen in einem Ort aus, der mit -ing endet.

Als Frau steige ich in der Innenstadt aus, schleppe meine Tasche allein in die nächste Bar und bestelle ein Herrengedeck.

Montag, 8. September 2014

Antifeminismus: Gewalt als Alltag

In meiner, zugegeben selektiven, Filterblase findet sich feministischer Inhalt in zahlreicher und vor allem digitaler Form. Ich lese Gepostetes, Gezwitschertes, Verlinktes. In letzter Zeit fanden sich in diesem Rauschen immer wieder ähnliche Begriffe, Wortlaute und Stürme, die sich gegen Gewalt gegen Frauen wenden. es ging um verbale Gewalt, um Hassmails, um Bedrohungen, um Androhung von Vergewaltigung. All das, weil Frauen Meinungen geäußert haben (auch nicht immer sachlich, aber nie bedrohlich). Vergewaltigung oder sexualisierte Gewalt war das Thema, das täglich mehr als einmal meinen Bildschirm bevölkerte. Rape Culture, Date Rape und Gegenmaßnahmen waren präsent.

Sie waren so präsent, dass es mich genervt hat.

Es hat mich so sehr genervt, dass ich hin und wieder dachte: Herrjeh, es gibt doch noch andere Themen.

Gibt es vielleicht.

Für diejenigen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind oder waren, gibt es das ganz oft nicht. Die Betroffenen sind sehr oft Frauen, um nicht zu sagen, fast immer.

Ich hatte als Frau durch die Omnipräsenz des Rape-Themas deshalb auch das Gefühl, permanent bedroht zu sein. Die Thematisierung hat mich nicht solidarisiert sondern von denen entfernt, die sich bedroht fühlen, die bedroht werden, die viktimisiert wurden. Genau das wollen die erreichen, die feministische Kritik ersticken wollen, in dem sie den Frauen androhen, sie zu vergewaltigen oder sonstige gewaltlastigen Anspielungen machen. Sie wollen die Frauen entsolidarisieren und zum Schweigen bringen. Genau deshalb muss das Thema präsent bleiben, Gegenwehr gegen sexualisierte Gewalt funktioniert nur dann, wenn sie öffentlich gemacht wird.

Antifeministische Parolen haben viel Platz in einem Netz, in dem jeder (fast) alles schreiben darf. Sie zeigen die Zerbrechlichkeit der hierarchischen Zweigeschlechtlichkeit und die Bedrohung, die davon ausgeht, die Geschlechterverhältnisse zu hinterfragen. Das Patriarchat verteidigt sich und es entsteht der Eindruck, es gäbe ganze Kommandos von Personen, die tagtäglich aggressiv jeden Text kommentieren, der im entferntesten mit Feminismus zu tun haben könnte (der übrigens an allem Schuld ist - schön wär's). Vielleicht gibt es diese Kommandos. Es gibt aber eine breite Basis von denen, die sich den Mund nicht verbieten lassen, das Schreiben, Zwitschern, Posten und Texten auch nicht. Und solange es dabei nur um Gewalt geht, wird diese Basis die Gewalt thematisieren. Ob es mich nervt oder nicht.

Montag, 28. Juli 2014

Linien des Zorns oder: wie ein Lächeln zum Problem wurde

Sie zieht die Augenbrauen zusammen und nähert sich meinem Gesicht. So nah, dass ich die Luft spüre, die aus ihrer Nase kommt.

"Also ich will Dir ja nicht zu nahe treten" sagt sie "aber Du hast ja eine Zornesfalte!" Besagte Zornesfalte war mir nie aufgefallen, befindet sich aber wohl zwischen meinen Augenbrauen. Im Anschluss höre ich einen Vortrag über Gifte und Gele, die mit Spritzen dieses Problem beheben sollen, das bisher keins war. Ich habe Probleme. Zum Beispiel das Minus auf meinem Konto, das ich sicher nicht für eine Spritze in meine Stirn vergrößern werde. "Dann iss doch weniger" stellt die nahe "Freundin" fest, denn immerhin sei es ja das Aussehen, um das es gehe.

Nachdem ich im Zug vier Stunden Zeit hatte, besagtes Problem in jedem Spiegel zu betrachten, der mir begegnete, hat sich die Information: 'Linien des Zorns auf der Stirn sind ein Problem' so tief in meine angegriffenen Synapsen gebrannt, dass ich tags darauf ein Fachgeschäft aufsuche, das eine Creme führt, die der Stirn zu Leibe rückt.

"Ich habe eine Zornesfalte" beichte ich der Verkäuferin, die daraufhin ihre Lesebrille aufsetzt, die Augenbrauen zusammenzieht und sich meiner Stirn nähert. Auch ihren Atem spüre ich, als sie feststellt, dass meine Stirn nicht mein einziges Problem ist, sondern überdies meine Wangen schlaff sind und sich Linien zwischen Mund und Nase zeigen. Diese hatte ich bislang für ein Ergebnis ausschweifenden Gelächters gehalten, aber muss eines Besseren belehrt werden. "Solange Sie" und ihr manikürter Finger zeigt auf mich "nicht an Ihrer Mimik arbeiten, kann ich hier kaum etwas machen!" Gleichwohl stellt sie mir einen Produktcocktail zusammen, der dem Preis nach nicht nur Falten bekämpfen sondern mindestens Orgasmen auslösen sollte. Dies verschweige ich. Den Kontostand im Blick verspreche ich, an meiner Mimik zu arbeiten und morgen mit Ablassgeld wiederzukommen.

Zu Hause kneife ich mein Gesicht so fest zusammen wie es geht und brülle mein Spiegelbild mit geschlossenen Augen an. Ich bin wütend auf meine Freundin, auf die Bilder all dieser Frauen, die bis 80 ohne eine Linie im Gesicht herumlaufen wollen. Ich bin wütend darauf, dass mit diesem Wunsch so viel Geld verbraucht wird, das anderswo besser eingesetzt wäre. Ich bin zornig auf so Vieles und habe ein Recht auf Linien des Zorns, egal wo sie an meinem Körper zu sehen sind. Linien des Zorns sind noch das Mindeste. Ich brülle aus Verzweiflung, denn ich habe das Gefühl, mittendrin zu sein, in diesem Strudel aus Scheiße. Als ich die Augen öffne, ist die Falte verschwunden.

Montag, 14. Juli 2014

Gute Mütter

"Kopfschmerzen hatte sie vor allem in der siebten, das war schlimm. Die siebte Klasse war bisher die anstrengendste." Mutter 1 trinkt einen Schluck Macchiato.

"Meine hat einen Tick entwickelt. Die Pauline wäscht sich bestimmt 30 mal am Tag die Hände und fasst nix mehr an. Ich glaub, des is die Psyche. Ja. Die Psyche." Mutter 2 rührt um.

Ich beginne, ein Interesse am Gespräch zu entwickeln und höre genauer hin. Zwei Mütter tauschen sich aus und berichten über Belastungen des Schulalltages. Sie tun mir ein bisschen Leid, denn sie geben sich viel Verantwortung und gleichen Erziehungsstile ab. Von Vätern ist bislang nicht die Rede.

"Aber Du, diese Geburtstagsfeier mit Übernachtung vor zwei Wochen, durfte die Enie da hin? Ich mein, die sollten High Heels tragen. Da hab ich gesagt, des geht ned. Da darfst Du nicht hin. Ich mein, was sind des denn für Eltern. Kennst Du die?"

Mutter 2 grübelt. "Aaach, doch. Die sind eigentlich ganz patent. So. Ich mein, die sind getrennt, halt."
Mutter 1 bemerkt mit wissendem Blick auf den breiten Ehering "Ach soooo!"

Ich stehe auf und zahle.

Montag, 26. Mai 2014

Mit und ohne Zutun

Wir unterhalten uns über eine gemeinsame Bekannte, die jetzt nach Amerika geht. Ameeeerika, jawohl und ihren Doktor hat sie auch in der Tasche. Ich kenne sie nicht gut, freue mich aber sehr für sie. Mir wird erzählt, dass sie ein "summa" erhalten hat und es an diesem Fachbereich seit Jahren keine so gute Bewertung mehr gab. Mein männlicher Bekannter nimmt einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und schließt "naja, sie sieht schon auch sehr gut aus und ihr Doktorvater war ihr auch sehr zugetan. Also nicht, dass sie mit ihm ins Bett gegangen wäre, aber eben schon..." Unter #yesallwomen wird gerade beschrieben, was vielleicht nicht alle Männer tun, was aber alle Frauen befürchten müssen.

Weil es nicht in 140 Zeichen passt, aber brilliante Leistungen von Frauen erst einmal nicht mit ihrer Brillianz erklärt werden. Weil es nicht ihr Zutun zur Wissenschaft sondern das Zugetansein des Doktorvaters ist. Und weil ich mich nicht zu ihrer Verteidigung aufschwang, sondern das Thema wechselte.

Freitag, 23. Mai 2014

Woher wohin

"Sie war sich ihrer Herkunft stets bewusst" stand in einem Roman und bezog sich auf eine ältere Dame aus den amerikanischen Südstaaten. Sofort hatte ich einen Eindruck des Verhaltens und assoziierte die Menschen aus dem hiesigen Süden, die ihre Herkunft wohl nur dann verstecken, wenn sie nicht hier sind und auch dann nicht immer und überhaupt ist Herkunft ein wichtiges Thema denn eine erste Frage ist ja wohl immer: wo kommst Du denn her?

Und das kann ich nicht beantworten. Manchmal sage ich: von der Arbeit. Oder ich antworte: ich bin viel rumgekommen. Die Fragen aber, sie häufen sich. Als hätte ich die erste Frage nicht verstanden oder verheimlichte meine sehr ominöse Herkunft. Tatsache ist: ich habe keine. Ich bin migriert, nach meiner Geburt, nach Deutschland, Land der güldenen Hoffnungen meiner Mutter.

Ich spreche die Sprache meiner Mutter nicht, die meines Vaters wohl aber beide, Mutter wie Vater, haben nichts mit mir zu tun. Ich bin in der ersten Generation eingewandert, aber man kann nicht sagen 'dafür spreche ich aber gut deutsch', denn ich kann ja nur deutsch. Ich bin sechsmal umgezogen als Kind und als Erwachsene noch dreimal. Also zählt auch die regionale Herkunft nichts. Spreche ich mit Ausweis (und Geburtsort) auf einem Amt vor, dann sprechen die Amtlichen sehr lang-sam und deut-lich. Ich versuche, so wenig wie möglich in Amtsstuben zu sein. Und sonst fällt es nie auf. Ich könnte aus Ostwestfahlen sein oder aus Niederbayern.

Mohamed Amjahid geht es da anders. Auf dem Amt sagte man ihm, er sei ein Flop, weil kein Ingenieur, sondern Journalist und ohne 64.000 Euro im Jahr. Das ist ein Skandal. Skandalös ist, dass er nicht aus Deutschland kommt und ich auch nicht und das Einzige, was uns unterscheidet, ein kleines bisschen Geschichte ist, individuelle Entscheidungen von Eltern, Zufälle. Gleichzeitig kommt es mir vermessen vor, uns zu vergleichen. Denn wir sind genauso wenig vergleichbar, wie ein Bayer und ein Ostwestfahle oder sogar zwei Ostwestfahlen, von denen vielleicht alle Flops sind oder keiner. Diese Amtskategorisierung macht mich wütend und hilflos und ich kann nur schreiben, dass ich gar nicht da herkommen will, wo man Menschen so behandelt. 

Dienstag, 20. Mai 2014

Aufhören

In meinem Haus ist eine Fahrradwerkstatt. Herr Fahrradwerkstatt schraubt herum, hat einen riesigen Hund und eine kleine Tochter, die er teilweise allein erzieht. Wenn er mich grüßt, berührt er seine Stirn. Auch wenn ich nicht weiß, was das bedeutet, winke ich zurück. Weil Handwerker das Schloss meines Fahrrades zerstört haben und mein Rad(l) schutzlos herumstand, ging ich zu ihm, um ein neues Schloss zu kaufen.

Der Tag war ein Arsch: Ich habe kein Ziel erreicht, Menschen haben mich geärgert, enttäuscht, mir wehgetan. Und dann auch noch mein armes Fahrrad. Und das arme Schloss. Als ich schimpfend ein Schloss aussuche, sagt Herr Fahrradwerkstatt nur einen Satz:
"Du musst jetzt damit aufhören. Es ist passiert."

Ich schließe den Mund. Er hat Öl an den Händen, riecht nach Schweiß und seine Augen leuchten aus einem Gesicht voller Haare. Gern würde ich ihr umarmen, zahle aber nur und gehe mein Fahrrad retten. Ich bin plötzlich froh, dass es nicht geklaut wurde und mir fällt auf, was für ein Glück ich habe.

Sonntag, 11. Mai 2014

Digitales Lieben mit und ohne Körper

'her' habe ich mir im Kino angesehen. Und davon abgesehen, dass wirklich alles ganz wunderbar komponiert ist, dass die Brüche von Sehnsüchten, Analogem, Digitalem und Realem ineinanderfließen und damit soviel Subtext erzeugen, bleibe ich doch an der Geschichte hängen, dass sich da zwei verlieben, die sich essentialistisch voneinander unterscheiden. Bleibe hängen an der Frage, wie das ist, wenn Gedanken, Gefühle, Gespräche Materialität ersetzen.Eine körperlose Liebe.

Lieblose Körper wären das, wenn sie sich nur verknoten, um ganz schnell Höhepunkte zu erreichen, denke ich. Aber das ist es ja auch nicht. Denn dem Körper des anderen Gefühle zu entlocken, Wohlgefühl zu bereiten ist doch auch Liebe oder nicht. Und wo hört es auf oder wo fängt es an, wenn es nur das Verknoten ist, ganz ohne Gipfelziele?

Diese und ganz viele andere Spielarten von Lieben gehen mir durch den Kopf und ich hänge immer wieder daran, dass ich doch die Berührung brauche, ob mit Liebe oder ohne. Dass es das Gefühl von Haut und Wärme neben mir ist, das ich nicht digital ersetzen kann. Ich rolle mich zusammen und wickele die Decke ganz um mich, wie eine Mumie und stelle mich tot bis morgen früh.


Sonntag, 4. Mai 2014

Mein analoges Leben

Beim Aufräumen finde ich Super-8-Filme, die ich in den 90er Jahren als Teil einer Retrowelle gedreht habe. Die Menschen auf den Bildern essen Eis, reiten Elefanten, lachen unbeholfen, duschen und trinken Bier. Fast willkürliche Ausschnitte dieses Lebens, auf ein paar Sekunden bin ich auch zu sehen, sorglos, auch wenn ich das nicht war, nie war. Sehr hübsch finde ich mich da und weiß, wie ich mich damals gehasst habe.
Analoges Leben sagt man heute, wenn man das IPhone ausschaltet, digitales Detox, wenn auch das Internet weg ist. Bilder können heute ganz schnell gemacht werden, schnell angeschaut und schnell gelöscht. Die Kontrolle über das eigene Bild ist größer geworden und kleiner: was einmal auf facebook ist, wird für immer da sein. Die Menschen auf den Filmstreifen sind auch immer da, ohne Projektor, wenn man ganz genau hinguckt, waren sie die ganze Zeit im Schrank. Wenn der Film durchbrennt, sind sie weg.
Das analoge Leben scheint als Desiderat, als Ideal: ganz unbehelligt von digitalen Nuisancen würde man endlich zur Ruhe kommen. Aber was bringt mir das?

Ich lebe dann analog und habe immernoch nicht diese schönen unbeholfenen, verschwommenen und abgehackten Schnipsel aus diesem Leben, aus dem analogen Leben auf Super 8. Wenn ich ein analoges Leben will, dann genau das.