Montag, 24. November 2014

Freiheit für Helene Fischer oder: blurred lines

Aus hier nicht näher zu erläuternden Gründen musste ich über Helene Fischer nachdenken und bin damit nicht allein. Neben ihrem offenbar sehr umfassenden Erfolg, der sich aus musikalischen Erzeugnissen, Werbeeinnahmen und allerlei sonstigem speist, ist sie nicht selten Objekt von Spott und Häme, unter anderem von den Herren Böhmermann und Schulz in ihrer sonntäglichen Radiosendung "sanft und sorgfältig". Als ich also über Helene Fischer nachdachte, die übrigens einen Migrationshintergrund hat, wollte ich diese junge Frau verteidigen, denn sie ist ja eine Frau und daher, fand ich, ist das ja auch irgendwie fast sexistisch, wenn Böhmermann und sein Kollege sich lustig machen. Bevor ich aber mit einem großen Banner "Freiheit für Helene Fischer" vor das Gebäude von Radio 1 ging, dachte ich mir: schwierig. Die Frau Fischer macht mit den bürgerlichsten Stereotypen ihr Geld und Olli Schulz kennt sie vermutlich gar nicht. Es ist also nicht nötig, für sie Partei zu ergreifen, zumal es genug andere gibt, die es tun. Helene Fischer ist weiß, jung, weiblich, reich und hat kein Problem, für das ich politisch einstehen müsste. Und ich wollte auch gar nicht auf sie hinaus sondern zurück zum Feminismus oder der Bekämpfung desselben durch antifeministische Bewegungen (wenn es denn Bewegungen sind oder doch einfach nur mangelnde Einsicht).

In der FAZ, namentlich Organ der bürgerlich-konservativen Verbreitung von Inhalten oder vielleicht von Allgemeinerungen, denn das steht auch im Namen, wird mit unermüdlicher Konstanz antifeministischer Text verbreitet. Allein das wäre nicht der Erwähnung wert, denn was will ich sonst erwarten von den alten FAZ-Herren, dachte ich, bis dieser Text unter einigen meiner facebook-"Freunden" Zustimmung fand (zur Frage des Umgangs mit doofen Links von offenbar doofen Freunden ein anderes Mal). Eine Friederike Haupt schrieb über Sexismus mit einer eher wirren Argumentation (ähnlich wie hier, wo ich von Helene Fischer zu Sexismus komme) und schließt mit der Einsicht: "So einfach ist die Welt eben nicht gestrickt (Pardon), dass alles Schlechte, was Frauen passiert, an ihrem Frausein liegt."

Äh ja. Das hat eigentlich niemand behauptet, zumindest keine Feministin, die ich kenne. Wenn überhaupt etwas auf Sexismus zurückgeführt wird, dann liegt das nicht am Frausein sondern am Geschlechterverhältnis. Aber auch das müsste eigentlich klar sein. Auch Frau Haupt, die ist nämlich gar nicht blöd, sondern jung und weiblich und Akademikerin (nehme ich an) und ich habe den Text mehrfach gelesen, weil ich dachte, vielleicht sagt die Frau ja doch irgendwas Sinnvolles. Es gibt ein Buch von Ariel Levy von 2005, das sich "female chauvinist pigs" nennt. In diesem unterhaltsamen, verärgernden, interessanten und blitzgescheit aufgearbeiteten Buch beschreibt die Autorin, wie Frauen (insbesondere in den Medien) antifeministische Kulturen unterstützen und sogar befördern, weil es ihre Möglichkeit ist, den eigenen Erfolg zu sichern. Levy schreibt auch, wie sich diese Bilder auf Alltagspraxen junger Frauen auswirken. Ich möchte Frau Haupt nicht als Chauvinistin bezeichnen, dazu kenne ich zu wenig Texte und bin nicht willens, mich in diese Materie zu vertiefen. Aber ich möchte festhalten, dass Antifeminismus oder die seit einiger Zeit aufkochende Debatte um "Genderism" nicht von Männern gemacht wird (weil, liebe Frau Haupt, genausowenig alles Schlechte von Männern kommt). Die Vervielfältigung von Geschlechterverhältnissen bringt schwimmende Linien zum Vorschein, sie führt dazu, dass nicht alle Frauen Feministinnen sind, aber ein paar Männer Feministen. Und dass ich naiv einen wirren Text mehrfach lese, weil er von einer Frau geschrieben wurde. Und dass ich künftig auf der Hut bin, wenn Texte in der Faz in die Kategorie Sexismus einsortiert werden.

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