"Was ist denn Dein Lieblingsessen" will ich wissen. Ein unverfängliches Datingthema und gleichzeitig die Möglichkeit, den Kontakt zu vertiefen, Stichwort "Gemeinsam Kochen". Mein Gegenüber schweigt gequält. "Also ich liebe Spaghetti Bolognese" sage ich, meine es und finde, dass es ein sympathisches Licht auf mich wirft. Schließlich hätte ich auch sagen können, dass ich meistens Salat mit Thunfisch ohne Dressing esse.
"Ja" zögert der Mann, mit dem ich immerhin einen Abend verbringe "aber ich esse keine Kohlenhydrate, deshalb mag ich das nicht so".
Wo früher Brotkörbe vor dem Hauptgang leergefuttert wurden, wo Menschen sich allenfalls gerechtfertigt haben, wenn sie viel Fleisch aßen oder nur Gummibärchen hat ein neuer Feind die Bühne betreten. Das Kohlenhydrat. Klingt schon irgendwie fies. Ein Kohlenhydrat, vor allem ein weißes, verstopft die Zelle, setzt sich auf die Hüfte ja es ist gar so hinterlistig, dass es satt macht. Dass einige Freundinnen diese Nudelparanoia haben, war mir nicht unbekannt. Aber es trifft auch Männer. Das könnte ich als Effekt der Gleichberechtigung sehen und mich freuen. Lieber wäre es mir aber, wenn wir alle Nudeln essen dürften, bis sie uns aus den Ohren kommen.
Es wundert nicht, wenn Fußballkoryphäen wegen neu erstrahlender Haarpracht belächelt werden, und Altkanzler nicht zugeben dürfen, dass sie zu Poly Brilliant greifen. Männer müssen heute schön sein, aber es darf nicht auffallen. Sie müssen wie Frauen selbstverständlich keinen Hüftspeck haben, aber sie dürfen keine Diät machen. Sie essen keine Kohlenhydrate und erfahren eine doppelte Abwertung. Der Druck auf Frauen, gut, jung und schlank auszusehen, ist seit Jahrhunderten Maßstab ihrer Schlechterstellung im Patriarchat. Wenn Männer auf sich achten, werden sie (ab einem bestimmten Grad) als "Mädchen" bezeichnet. Höchste Zeit für den solidarischen Aufstand und Nudeln für alle.
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