"Schau mal, man kann hier auch Kutsche fahren" sage ich beim Spaziergang durch den englischen Garten zum Begleiter und füge an, dass das ja auch ganz schön posh und eher peinlich sei. Die Kutsche kreuzt unseren Weg und ich denke, dass die Menschen darin mir doch sehr bekannt vorkommen. Sehr bekannt. Nicht so schein-bekannt, weil sie in einer Daily-Soap mitspielen. Das hier ist meine eigene daily soap, denn in der Kutsche sitzt meine Schwester. Die ein gefühltes Weltall aber immerhin drei Stunden Autofahrt entfernt hinter den sieben Bergen wohnt und nun an mir vorbeikutschiert.
Das Fußvolk, also ich, bleibt stehen und winkt. Die Kutschinsassenschaft winkt huldvoll zurück, bis bei ihr der gleiche Prozess einsetzt: bekannt, nicht daily soap, eigene daily soap, meine Schwester. In ihren Augen sehe ich Alternativen vorbeirauschen: (1) Dem Kutscher Carrie-like 500 Euro zustecken und rufen, fahren Sie, fahren Sie schnell! - (2) ruhig weiterfahren und so tun, als hätte sie mich nicht erkannt - (3) anhalten und die lang verloren geglaubte Verwandte grüßen.
In meinem Kopf mengen sich auch die Alternativen: (1) umdrehen und weitergehen - (2) mauloffen stehen bleiben - (3) in die nächste Kutsche springen, dem Kutscher 500 Euro reichen (oder die 5, die ich dabei habe) und rufen: folgen Sie dieser Kutsche da!
Die Schwester entscheidet sich für Option 3, ich für 2. Sie verloren geglaubt: "Ich dachte, Du wohnst überhaupt gar nicht mehr in München und ich hätte Dich kaum erkannt!!!" Ich: mauloffen ungläubig. Nach kurzem, notdürftig höflichen Wortwechsel und dem Versprechen, sich zu melden, springt sie schnell ins Gefährt und rauscht davon. Mit ihr, ihr Gefolge. Das Fußvolk bleibt zurück und sammelt das zerbröselte Selbst aus den Linsen, die guten ins Töpfchen. Einen winzigen Moment lang will ich doch im nächsten Wagen folgen, sie vom Weg abdrängen, niederkämpfen, die Hände um den Hals und speichelspritzend brüllen, was sie denn so sehr an mir hasst.
Es ist aber wohl doch nur Gleichgültigkeit - und die tut fast noch mehr weh, als jeder Sturz in den Graben. Mit den wenigen Selbst-Bröseln in der Taschen gehe ich weiter und wische den Schmutz von der Nase.
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