"Hey, hast Du eine neue Jacke? Sieht gut aus" bemerkt einer.
"Ja, Du ich dachte einfach: Ich will NIE WIEDER FRIEREN" sagt sie und streicht selig über das Fell des Kragens, um gleich darauf ihren mit Daunen wattierten Rumpf zu umarmen und damit die Jacke enger um ihren zarten Leib zu ziehen. Ich denke, dass gegebenenfalls gutes Schuhwerk auch einen Teil zum Abwehren sibirscher Kälte beitragen könnte und fühle mich an Scarlett O' Hara erinnert, wie sie eine gammelige Möhre zum Sonnenuntergangs-roten Himmel reckt und ruft: ICH WILL NIE WIEDER HUNGERN. Es wäre nun müßig, zu erklären, dass die 600-Euro-teure Winterjacke und das Versprechen, in einer Großstadt sowie in einem Oberklassewagen nie wieder zu frieren, auf dem Rücken (genauer der Brust) diverser Enten und Gänse sowie dem Fell eines inzwischen vermutlich toten Hundes erkauft wurde. Wichtig ist ja offenbar, dass die Investition in selbige Jacke mit scheinbar rationalen Argumenten legitimiert wird.
"Das ist aber eine edle Tasche", sage ich der Kollegin. Das Äußere ist durch die ständige Wiederholung zweier Buchstaben (L und V) gekennzeichnet und weist damit auf den Wert des Produkts hin. "Ach weißt Du, ich habe die eigentlich nur gekauft, weil sie soooo praktisch ist: sie hat zwei Henkel!" Das Gespräch setzt sich fort und ich versuche scheinheilig die Überraschung über die hohe Funktionalität der Tasche mit zwei (!) Henkeln aufrecht zu erhalten, denn ich versuche ja oft nett zu sein.
Spätestens jetzt muss offensichtlich sein, dass ich mich dem Sog der teuren Taschen nicht ganz entziehen kann, denn auch zu einer anderen Bekannten sage ich, dass sie ja eine sehr hübsche Tasche trägt: Das Modell ist auch im vierstelligen Euro-Bereich angesiedelt und schmückt die Trägerin. Gleichzeitig gibt sie deutliche Hinweise auf die soziale Schichtzugehörigkeit. "Ach" antwortet sie nachlässig "ich habe einfach festgestellt, dass ich bei Schuhen und Taschen investieren muss. Wer billig kauft, kauft schließlich zweimal." Ich rechne kurz nach, wie viele Taschen ich auch im mittleren Preissegment für eines dieser Exemplare erwerben könnte und zweifle an den kalkulatorischen Fähigkeiten meines Gegenübers.
Ich lasse mir (in einem akuten Anfall von autoagressiven Ageism) eine Creme vorführen, deren Wirkung nicht nur mit Leuchtkraft, Straffung und Aufpolsterung beschrieben wird sondern deren betörender Duft und wertiges Schälchen gleich ein grundsätzlich positives Gefühl verleiht. Und positive Gefühle lassen mich jünger wirken, das ist ja klar. Als mir der dreistellige Betrag dann doch ein etwas zu hoher Preis für dieses Tiegelchen erscheint, blinzelt mich die gut zwei Jahrzehnte jüngere Verkäuferin an: "Aber es ist ja für IHRE HAUT. Ich meine, da spart man doch lieber an der Mascara und investiert in SICH." Hm, denke ich. Meine Mascara ist nicht wirklich teuer. Das traue ich mich aber nicht zu sagen. Deshalb bedanke ich mich sehr sehr freundlich für diesen Hinweis.
Ich gehe faltig und mit billiger Mascara nach Hause und streichele die Katze. Sie schlägt vor, dass ich mir sie lebendig um den Hals legen kann. Das erscheint mir zu riskant, daher kraule ich sie nur und höre ihrem Schnurren zu. Das macht mich glücklich. Ohne Buchstaben und Henkel.
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