Donnerstag, 31. August 2017

Die Wahrheit sagen oder sich benehmen

"Ah München. Sie kommen aus München. Das ist sehr schön da!" sagt die Masseurin als sie meine Nackenwirbel knacken lässt und über meine Verspannungen seufzt. Sie hat einen leichten Akzent und deutet an, dass sie nur saisonal am Ort arbeitet. "Und stören Sie die Immigranten nicht?" fragt sie. "Welche Immigranten" frage ich, versonnen im Aromaöl-Chakra-Nebel. Und ich frage es mich dann auch wirklich, denn in München sehe ich deutlich seltener Menschen, die einen Migrationshintergrund haben könnten als in anderen Städten. Sie erklärt was von "Wellen" und von "Vielen" von "zu Vielen" und ich versuche, gar nicht hinzuhören.

Ich habe generell ein Problem mit körperbezogenen Dienstleistungen, weil mir im Moment der Behandlung meine Privilegien so bewusst sind, dass ich die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen habe. Sprich: an echte Entspannung ist ohnehin nicht zu denken, viel weniger aber daran, meiner Empörung Luft über diese Frage Luft zu machen. Ich belasse es also bei einem Lull-und-Lall: "Nee, gar nicht. Ich bin selber Migrantin und außerdem stört mich das gar nicht" (note to self: dringendst scharfe Antworten gegen blöde Rassismen lernen).

"Aaach, ja, solange die sich benehmen, habe ich auch nix dagegen" antwortet die Knetende. Mir fällt auf, dass die Masseurin vermutlich 5 KundInnen pro Tag hat, die ich in diesem Hotel auch beim Abendessen, beim Frühstück und im Pool treffe. Sie muss also entweder davon ausgehen, dass ich speziell nun eine ganz besondere Rassistin bin oder aber, dass alle ihre KundInnen von den "Immigranten" erwarten, dass sie sich benehmen. (Von Benehmen kann, by the way, bei Frühstück und Abendessen am Buffet keine Rede sein. Gerade die Privilegierten Massierten lassen beim Lachs alle Hemmungen fallen und kennen keine Freunde mehr.)

Benehmen also, da klingeln bei mir alle Glocken. Warum? Weil Beate Zschäpe in einem ihrer Statements auch darauf abgestellt hat, dass sie Menschen nach ihrem Benehmen beurteile. Richtiges Benehmen von mir wäre es, hier und jetzt die Wahrheit zu sagen, was ich von solchen Aussagen halte und was das für ein Bullshit ist, den sie mir erzählt. Wenn wir meinen, Gruppen von Menschen ein bestimmtes Benehmen abzuverlangen, damit sie akzeptiert werden, wenn wir Benehmen von Menschen unterschiedlich bewerten, je nachdem wie sie aussehen oder woher sie zu kommen scheinen, sind wir noch schrecklich weit entfernt von einer offenen Gesellschaft.

Aber, wie so oft, ich mache den Mund nicht auf, ich liege auf der Matte und suche Entschuldigungen und Erklärungen, will nicht besserwisserisch sein und keinen Streit und ziehe zerknirscht von dannen, die Ohren zwischen den Schultern nach 50 Minuten Entspannungsmassage.

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